Oliver Kropf sagt: "Obwohl man glaubt zu wissen, wie die Welt funktioniert, weiß man es dann doch nicht wirklich." Was steckt dahinter? Kropf begibt sich in seinen Bildern auf die Suche nach dem, was hinter der Fassade unserer optischen Wahrnehmung, was hinter unserer seit frühester Kindheit antrainierten, konditionierten Wahrnehmung steckt oder stecken kann. Als im weitesten Sinne "realistischer" Maler - besser gesagt: als figurativer Maler - stellt Oliver Kropf Fragen nach Wirklichkeit und Realität. Ist Wirklichkeit tatsächlich das, was es zu sein vorgibt? Oder gibt es noch etwas anderes dahinter? Parallele Wirklichkeiten etwa? Oliver Kropf interessiert sich für Verschiebungen und Verwerfungen von Wirklichkeit, er möchte den "Zwang des Logisch-Rationalen" überwinden und zu neuen theoretischen und bildnerischen Ergebnissen gelangen.
In unserem Gespräch vor einigen Tagen hat er den Schweizer Schriftsteller Friedrich Dürrenmatt zitiert: "Unser Verstand erhellt die Welt nur notdürftig. In der Zwielichtzone seiner Grenze siedelt sich alles Paradoxe an." Und das genau ist der Punkt, um den es Oliver Kropf geht. Er plädiert nämlich dafür, nicht an die alleinige Macht des Verstandes zu glauben. Er demonstriert mit seinen Bildern das Versagen der Logik, das Versagen des Rationalen an der Komplexität der Welt und ihrer Zufälligkeit. Dies hört sich sicherlich im ersten Moment sehr theorielastig an, aber seine Kunst erhebt keineswegs nur den Anspruch intellektuell zu sein, sondern sie ist auch - und das ist ganz wesentlich - außerordentlich körperbetont. Neben einem theoretischen Überbau sehen wir uns mit einer gestischen, wilden, kraftvollen Malerei konfrontiert. Die Gründe für das körperbetonte einerseits und das intellektuelle andererseits speisen sich aus der Persönlichkeit Oliver Kropfs: Er liest sehr viel und setzt sich mit Literatur, dem Zen-Buddhismus, mit Meditation oder auch mit den Schriften und Theorien Carl Gustav Jungs, dem Begründer der Analytischen Psychologie, auseinander. Das wäre gleichsam die intellektuelle Seite. Die gestische Seite, das Wilde und körperbetonte seiner Malerei hat Kropfs Aussage zufolge auch damit zu tun, dass er seit vielen Jahren Kampfsport betreibt.
Ich möchte aber noch einmal kurz auf einen Punkt zurückkommen, den ich eingangs erwähnt hatte: Nämlich dass Oliver Kropf mit seinen Bildern das logische Denken, die rationale Annäherung an die uns umgebene Welt sozusagen entlarvt und zwar, indem er die Zufälligkeit der Welt betont und herausfordert. Der Begriff der Zufälligkeit erscheint mir in diesem Zusammenhang besonders wichtig zu sein, denn plötzlich befinden wir uns mitten im Surrealismus: "Die zufällige Begegnung der Nähmaschine und des Regenschirms auf dem Seziertisch." Dieser Satz stammt vom französischen Dichter Lautreamont aus dem
19. Jahrhundert, der später dann von den Surrealisten als eine ihrer Galionsfiguren hochgehalten wurde. Lautreamont hatte mit diesem Satz die Schönheit eines Jünglings beschrieben. Die Surrealisten nahmen diese Umschreibung als poetisches Bild auf, welches "aus dem ansonsten unsichtbaren Alltäglichen unbeabsichtigt" - also zufällig - "entstanden ist". Soweit die Worte von Andre Breton, dem wohl wichtigsten Theoretiker des Surrealismus. In Bretons Texten ist dann auch die Rede vom "alltäglichen Leben", das durch das Bild verändert werden kann. Breton schreibt: "Allein das Bild kann mir zeigen, was an Befreiung möglich ist, und diese Befreiung ist so allumfassend, daß ich darüber erschrecke. Durch die Kraft des Bildes könnten nach und nach die 'wahren' Revolutionen vollbracht werden. In manchen Bildern ist ein Erdbeben schon im Keim vorhanden."
In Oliver Kropfs Arbeiten sehe ich ebenfalls eine so beschriebene Kraft, eine Wildheit, die bestrebt ist, sich Gehör zu verschaffen. Und auch seine Arbeitsweise lebt vom Zufall. Er grundiert seine Leinwände, Farbe wird großflächig aufgetragen und nach Trocknung werden die zufällig entstandenen Strukturen überarbeitet und mit figurativem Inhalt gefüllt. Dieser Vorgang wiederholt sich mehrere Male. Immer wieder neue zufällig entstehende Strukturen zeigen sich, die von Oliver Kropf inspirativ aufgenommen werden um daraus dann Bilder Wirklichkeit werden zu lassen. Oliver Kropf kreiert, konstruiert und zeigt uns in seiner Kunst Wirklichkeiten, die es vorher so noch nicht gegeben hat.
Hartwig Knack, Eröffnungsrede der Ausstellung Oliver Kropf - Happy Hour, Galerie Frey, Wien 2009
Oliver Kropf malt infernalische, abgründige Szenen, die im modernen urbanen Raum angesiedelt sind. Die verwaiste Peripherie städtischer Agglomeration bildet den motivischen als auch narrativen Hintergrund der Malereien des jungen Künstlers. Als Kulisse wählt er eine Landschaft, die nicht im öffentlichen Fokus liegt. Sie zeichnet sich durch den Verzicht auf die ständigen und ostentativen Gesten der Erneuerung und Instandhaltung aus, die auf die Rationalität und Ökonomie moderner Zivilisation verweisen. Der sich unbeachtet und leise vollziehende Prozess des Verfalls, der diese städtischen Randzonen prägt, erfährt in seinen Bildern eine Beschleunigung und gelangt zu dramatischen Höhepunkten, die das Moment gewalttätiger Zerstörung in sich bergen.
Verlassene Fabriksgebäude und ehemalige Industriehallen werden auf beunruhigende Weise von Farb- und Formexplosionen überlagert, die die Spuren der Zivilisation unter sich begraben. Die innerbildliche Lichtqualität erinnert nicht an natürliche Quellen, sondern in ihrer Stärke und Eigentümlichkeit an medial vermittelte Bilder kriegerischer Auseinandersetzungen oder atomarer Katastrophen. Allerdings ist es hier nicht die menschliche Hand, die den Prozess steuert, sondern die menschenfeindliche Atmosphähre einer Wildnis, die sich jeglicher Reglementierung und Nutzbarmachung entzieht und mit großer Vehemenz den Raum einfordert.
In diesen apokalyptischen Szenarien, in denen selbst die Naturgesetze ihre Gültigkeit verloren zu haben scheinen, finden sich einzelne Gestalten wieder, die von diesen wuchernden Strukturen einverleibt werden. Dabei handelt es sich um den Typus des Antihelden, der zum Protagonisten des Geschehens in dieser fiebertraumartigen Wirklichkeit wird. Er begegnet dem Betrachter meist in Form stereotyper Männerbilder oder Grotesken. Zum einen tritt er als Einzelgänger im Kampf mit den Elementen in einem brennenden Inferno in Erscheinung aus dem es kein Entrinnen gibt. Er steht dem Geschehen machtlos gegenüber und er hat keinen Einfluss auf sein Schicksal. Zum anderen begegnet er uns in der Rolle des Narren, der sich - durchtrieben und ohne Rücksicht auf moralische Prinzipien - Souveränität verschafft und in diesem ungastlichen Klima sein Auskommen findet.
Die entfesselte und bedrängende Energie dieser Malerei geht über die Grenzen des Bildraums hinaus und die vom Raum überwältigten Gestalten finden sich im Betrachterraum wieder. Die eigene und innerbildliche Wirklichkeit geraten aneinander. Offen bleibt, wer hier einer Illusion unterliegt und welche sich als beharrlicher erweist.
Katerina Cerny, Text zur Ausstellung Oliver Kropf - High and Dry, Brunnhofer Galerie, Linz 2007